Marcia Nißen hat am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Bacheloarbeit über die Quantified Self Bewegung und die Self-Tracker mit ihren Motivationen geschrieben. Ein Zusammenfassung Ihrer Ergebnisse beschreibt sie in diesem Gastartikel:
Die Motivationen mit dem Self-Tracking zu beginnen, haben eines gemeinsam: Sie sind im engen Sinne immer intrinsisch motiviert. Quantified Self Anhänger wollen sich selbst vermessen und sich dadurch besser verstehen. Self-Tracking ist kein Mannschaftssport, in dem es dem einzelnen darum geht im Team etwas zu erreichen. Vielmehr sind Self-Tracker Einzelkämpfer, die ihren eigenen Rahmen suchen – und stecken. Welche Aktivitäten und Parameter selbstvermessen werden, ist jedem selbst überlassen. Jeder Quantified Self Anhänger entscheidet für sich, was ihn interessiert, was für ihn möglich ist und welches Budget er dafür vielleicht in die Hand nehmen möchte.
In meiner Bachelorarbeit, für die ich im letzten Jahr unendlich viel Hilfsbereitschaft in der Quantified Self Szene Deutschlands erleben durfte, ging es darum ein umfassendes, aktuelles Bild der Bewegung abzubilden: Welche Motivationen treiben viele Quantified Self Anhänger an, welche Parametervielfalt wird getracked, wie hoch ist die Einsatzbereitschaft (zeitlich und finanziell), die Vernetzung unter den Quantified Self Anhängern, die soziale Komponente.
Die Bachelorarbeit und eine ‚ausführliche Kurzdarstellung‘ der Ergebnisse stehen auf meinem Blog, www.vermessen-leben.de, zum Lesen und zum Download zur Verfügung. Einen Auszug gibt es hier:
Der “typische” Selbstvermesser
Der durchschnittliche Selbstvermesser ist 33,55 Jahre alt, männlich, aus den Industriestaaten der USA oder Europas, angestellt und verfügt durchschnittlich über ein monatliches Haushaltseinkommen von 2.697,33 US-Dollar (Anm.: Allerdings gibt es bislang auch fast nur in diesen Staaten Meetup-Gruppen und über diese Gruppen wurde die Teilnehmer maßgeblich rekrutiert).
Bemerkenswert ist sicherlich die hohe Eigenmotivation der Teilnehmer. 56% der Teilnehmer gaben an, dass sie aus eigenem Antrieb mit dem Self-Tracking begannen, 7% wurden von Freunden inspiriert, nur 8% von ihrem behandelten Arzt dazu ermuntert. Außerdem ließ sich eine hohe Eigenverantwortung unter den Self-Tracker identifizieren: 90% stimmten der Aussage zu „Ich vermesse mich selbst, weil ich mich für mein Leben verantwortlich fühle“. Hinzu kommt die hohe Technik-Affinität der Selbst-Vermesser: Die meisten nutzen zwei oder mehr Geräte um sich selbst zu vermessen. Nur 8% nutzen ausschließlich Papier und Stift für Ihre Aufzeichnungen.
Nur ein Drittel aller Self-Tracker weist eine oder mehrere chronische Grunderkrankungen auf, deren Symptomen er „entgegen-tracken“ will. Ebenso viele tracken gesundheitsrelevante Parameter (32,33%). Der Wunsch nach individueller Unabhängigkeit von klassischen Standard-Therapien und -Behandlungen motiviert 50% aller chronisch-erkrankten Selbstvermesser.
Grundsätzlich wurden verschiedene Arten der Selbstvermessung unterschieden. Unter den “Vermessungszielen” haben wir in neun Kategorien 54 verschiedene Parameter abgefragt und darüber hinaus die Möglichkeit angeboten eigene Parameter anzugeben. Zu den neun Kategorien gehörten Physical Activites, Body, Nutrition, Addictions, Medical, Well-being, Environment, Relationships und “Other”, darunter wurden Parameter sortiert wie z.B. Übungseinheiten, Schrittzahl, Treppenstufen, Gewicht, BMI, Blutdruck, Kalorienzufuhr, Wassergläser pro Tag, Stimmung, Schlafqualität und -quantität, u.v.m.
Die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit, bzw. für die eigene Leistung und Fitness und ein hohes Selbstoptimierungsbedürfnis ist fast allen Selbstquantifizierer gemein. Auf einer Skala von 1 = Strongly Disagree bis 5 = Strongly Agree, stimmten 90% der Teilnehmer der Aussage zu „I’m self-tracking because I feel responsible for my life”.
Fünf Self-Tracking Motivationen
Fünf übergreifende Motivationen ließen sich identifizieren:
- Self-Design fasst die Aussicht auf Optimierung, Kontrolle und Manipulation des Selbst durch die Erkenntnisse aus Self-Tracking-Aktivitäten zusammen.
- Self-Entertainment zielt auf die spielerische Komponente vieler Self-Tracking Aktivitäten, die Zeitvertreib und Hobby sein können und Flow-ähnliche Zustände (LINK: zu Cziczmenthali bei Wikipedia oder) bewirken können.
- Self-Association – das englische „association“ kann ‘community’ Gemeinschaft), ‘affiliation’ (Zugehörigkeit) aber auch ‘resemblance’ (Ähnlichkeit) bedeuten, und zielt auf das Interesse vieler Selbstvermessen ab, sich selbst durch den Vergleich mit anderen besser zu verstehen.
- Self-Discipline: Self-Tracking gegen den Schweinehund
- Self-Healing ist für viele gesundheitsorientierte Selbstvermesser eine wichtige Motivation und impliziert den Wunsch, sich unabhängig von klassischer und standardisierter Medizin zu machen.
Persönliche Schlussbemerkung
Es fühlte sich irgendwann und immer etwas ironisch und fast bitter an, Menschen, die sich durch die unterschiedlichsten Selbstvermessungsaktivitäten individualisieren wollen, wieder in Durchschnitte packen zu wollen. Selbstvermesser möchten herausfinden, in inwiefern sie sich von anderen oder einfach nur einem Standard unterscheiden. Sie möchten verstehen, ob ihnen ein anderes Medikament besser hilft, als den restlichen 90% aller Patienten; Wie reagiert der eigene Körper, wie tickt die eigene Psyche, wie verläuft der eigene Krankheitsverlauf, nehmen Familie und Freunde Einfluss, wirken sich eigene Symptome anders aus, interagieren Parameter des Lebens verschieden, spielen spontane Momente eine Rolle, verändern Worte/Fernsehsendungen/gelesene Bücher den Lauf des Lebens…?
Was die meisten Selbstvermesser machen ist nicht verwerflich. Sie quantifizieren und analysieren ihr Leben statistisch durch – weil sie es können, weil es ihnen Spaß macht und weil es ihnen etwas gibt.
“Identity is our mystery. We have no idea who we are – what humans are, and what humans are good for. […] Self-tracking and the Quantified Self movement are contemporary probes into this mystery, part of our feeble attempt to figure out who we are – as individuals and a collective. Quantifying your self is an act of self-assertion. All this attention is not a narcissist adoration of the self, but a self-definition in an age of great uncertainty about who we are.”
QS co-founder Kevin Kelly, 2011
Bei den hier vorgestellten Ergebnissen handelt es sich nur um Auszüge aus meiner Bachelorarbeit. Die komplette Arbeit gibt es hier.
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