Eine Ansprache der EU Kommissarin Neelie Kroes bildet den Aufhänger eines Artikel von Frank Schirrmacher über die Gefahr durch Digital-Monopolisten, welche den einfachen Bürger seiner Freiheit berauben und zu einem programmierbaren Roboter machen. Schirrmacher unterstellt der Politikerin technokratische Propaganda und die Vernachlässigung ihrer Pflicht, die gesellschaftlichen Folgen technischer Innovationen kritisch zu hinterfragen. Deshalb attestiert der FAZ Herausgeber dem Activity-Tracker von Frau Kroes „gewiss unbestreitbare Vorteile“, warnt aber zugleich, dass sie mit ihrer Ansprache die „bedenklichsten Gadgets der Datenhändler“ feiert.
So beschreibt er das Fitness-Gadget der Politikerin als Kennzeichen des Homo Ökonomikus, dem Menschen der Gegenwart, der sich ohne Gnade marktwirtschaftlichen Zwängen unterwerfen muss. Diesem diktiere der Markt ein gesünderes Leben, bei dem der ehemals freie Bürger sein Recht auf Krankheit verliere um dem System Kosten zu ersparen. Dabei verkennt er, dass der Erfolg der digitalen Bewegungs-Motivatoren auf überzeugten Nutzern basiert, die durch das Bewusstsein für Ihr eigenes Verhalten Spaß an einem gesünderen Lebensstil entwickelt haben. Keine Zwangsverordnung oder Manipulation dieser Menschen ist notwendig um sie zum Aufzeichnen persönlicher Daten zu bewegen – allein der Vorteil der kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst ist genug. Denn tatsächlich haben die während der letzten 100 Jahre von Ingenieuren entwickelten Autos, Rolltreppen und der öffentlichem Nahverkehr bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung eine Kultur des Bewegungsmangels geschaffen, welchem kein Körpergefühl zu widersprechen vermag. Ein Zustand, der immer noch von vielen Menschen kritiklos als normal akzeptiert wird. Macht sich heute eine neue Generation von Ingenieuren, Psychologen und Entscheidern im Gesundheitswesen daran, die Schwachstellen unserer selbstgeschaffenen Kultur zu korrigieren, wird dies als Manipulation verurteilt, die den Einzelnen zum Sklaven mache. Tatsächlich jedoch bewirken diese neuen Technologien das Gegenteil, stärken das Bewusstsein für das eigene Verhalten und helfen, sich gegen die Versuchungen durch Werbung für ungesundes Essen und Vielerlei mehr zu behaupten.
Im Vergleich zu den Bewegungs-Daten, die das Armband von Frau Kroes aufzeichnet, werden wir in Zukunft Tag und Nacht eine tausendfache Menge an Daten über unsere Gesundheit und unser Verhalten erzeugen. Waage, Uhr und Bett werden zu Gesundheitsscannern, die physiologische Parameter überwachen und Trends in unserem Gesundheitszustand erkennen, lange bevor eine ernsthafte Erkrankung auftritt. Mit dem Wissen, das hierdurch entsteht, gewinnen Menschen die Freiheit pro-aktiv zu handeln, werden von gesundheitlichen Einschränkungen verschont und bekommen die Chance auf ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter. Dass die enorme Menge persönlicher Daten, welche viele Bürger bald erzeugen werden auch Gefahren beinhaltet steht außer Frage, wie dies bei jeder anderen neuen Technologie ebenso der Fall war. Deshalb ist der Schutz der Daten für den Schirrmacher kämpft ein wichtiges Anliegen, aber nicht ausreichend um die Zukunft konstruktiv zu gestalten. Wie es vor hunderten von Jahren im Dorf kaum möglich war, ein Geheimnis zu verbergen, wird es auch im digitalen Zeitalter keinen perfekten Schutz vor unerwünschtem Informationsfluss geben. Entscheidend ist neben dem Schutz der Daten deshalb insbesondere der Schutz der Persönlichkeit, zum Beispiel durch Gesetze, die Arbeitgeber und Versicherungen daran hindern, persönliche Daten zum Nachteil des Einzelnen einzusetzen. In Deutschland befinden wir uns hier auf einem guten Weg, der viel optimistischer Blicken lässt, als die Angstmacher uns dies vermitteln wollen.
Blicken wir in die Vergangenheit, als Quacksalber und Aderlässe die bevorzugten Mittel zur Behandlung von Krankheiten waren, wird der Vorteil moderner Methoden zur Steigerung der Gesundheit immanent. Zu Glauben der heute erreichte Stand wäre das Ende dieser Entwicklung, ist töricht und lässt viele Schicksale und Schmerzen unbeantwortet. Die Freiheit, frei von vermeidbaren Krankheiten, Leiden und Einschränkungen zu Leben ist eines der nobelsten Anliegen, welchem sich immer mehr Unternehmen aus Geschäftssinn und gutem Willen verschreiben. Diese mit kriminell agierenden Geheimdiensten gleichzusetzen, wie bei den Kritikern der Digitalisierung oft üblich, zeugt von Mangel an Respekt und Verständnis, wodurch jede Glaubwürdigkeit verspielt wird. Vielmehr werden die selbsternannten Freiheitshüter schnell selbst zu Bevormundern, die ihren Mitbürgern die Fähigkeit, Nutzen und Risiken selbständig abzuwägen, absprechen. Freiheit heißt Verantwortung, sich jenseits von Gewohnheit, Werbung und Lobbyismus für den eigenen Weg zu entscheiden und eine immer größere Gruppe an Menschen erkennt die Chancen, die darin für sie verborgen liegen. Das Quantifizierte Selbst ist deshalb Ausdruck eines Bewusstseins, welches wahre Freiheit ermöglicht und Ängsten und Irrtum die wohlinformierte Gestaltung des eigenen Lebens entgegensetzt. Schirrmachers Frage, ob Denken weiterbringt, kann also positiv beantwortet werden. Erst recht, wenn man sich traut, die Grenzen des eigenen Wissens zu überwinden.
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