Hallo Christoph. Über Deine journalistische Arbeit hast Du Dich intensiv mit Self-Tracking auseinandergesetzt. Welche Tools und Methoden hast Du ausprobiert und was hast Du dabei gelernt?
Anfang des Jahres habe ich in einem Selbstversuch so viele verschiedene Dinge getrackt wie möglich. Von den gängigen Geräten wie Fitbit oder Jawbone über Produktivitäts-Tracking via RescueTime, Ernährungstagebuch (MyNetDiary, Fitbit, Mealsnap), Finanzen (Budget-App), Aufenthaltsorte (Move-App) bis hin zu Stimmung (Mappiness) und Schlaftracking mit dem ZEO Stirnband.
Zuerst einmal habe ich gelernt, dass es mir überraschend viel Spaß macht, mich mit dem Thema zu beschäftigen und Trackingmethoden auszuprobieren. Durch das simple Stockwerkezählen mit dem Fitbit habe ich gelernt, dass mich schon kleine Gamification-Tricks dazu bringen, von Rolltreppen- und Lift-Faulheit zum Treppensteigen zu wechseln. Das haben kluge Ratschläge, Magazinartikel und Fitnessratgeber in den drei Jahrzehnten zuvor nicht hingekriegt.
Wahnsinnig überraschenden Korrelationen bin ich nicht auf die Schliche gekommen, dazu waren meine Messmethoden vielleicht auch nicht wissenschaftlich und präzise genug. Aber ich habe bei der Analyse meiner Schlafkurven gemerkt, dass ich abendliches Koffein wohl doch nicht so gut wegstecke, wie ich immer gedacht habe: Ich schlafe zwar auch nach einem siebenfachen Espresso problemlos und schnell ein, aber meine Tiefschlafphasen sind häufiger und länger geworden, seit ich nachmittags und abends auf Kaffee verzichte. Eine für mich wertvolle Erkenntnis, die ich sonst nicht gehabt hätte.
Hast Du Self-Tracking Methoden auch über Deine Recherchen hinaus in Deinen Alltag integriert? Wenn ja, welche und warum?
Das Tracken von Nahrungsmitteln habe ich nach einer gewissen Testphase wieder aufgehört. Zum einen ist es nach wie vor sehr mühsam, alles per Hand mitzuprotokollieren. Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass die Lernkurve nach ein paar Wochen, in denen ich viel über meine Ernährungsgewohnheiten gelernt habe, abgeflacht ist.
Viele andere Sachen tracke ich weiter – zum Beispiel Bewegung, Schlaf, Produktivität und natürlich alle sportlichen Aktivitäten. Außerdem probiere ich immer wieder neue Tools und Apps aus, zuletzt zum Beispiel die GPS-Runner-Uhr von TomTom, das soziale Navigationssystem „Waze“ oder die App „Saga“, mit der man ein automatisches Lifelog erstellen kann.
Wie siehst Du den Stand von Self-Tracking? Ist es immer noch ein Thema für Early Adopter oder ist es schon im Mainstream angekommen?
Ich glaube, nach und nach kommen zumindest einzelne Bereiche im Mainstream an. Ich bin jedenfalls in der letzten Zeit öfter von Freunden um Rat gefragt worden, was für ein Tracking-Device sie sich denn anschaffen sollen, sie hätten da jetzt mehrfach was gelesen und wollten jetzt auch beispielsweise ihr Bewegungslevel und ihren Schlaf tracken. Allein die Tatsache, dass Apple in sein iPhone 5s einen separaten Koprozessor für Tracking-Apps eingebaut hat, wird dafür sorgen, dass in diesem Bereich deutlich mehr und deutlich bessere Apps entwickelt werden, die ohne großen Akkuverbrauch eine ganze Menge Dinge tracken können – und das ohne ein 100 Euro teures Armband.
Welche Chancen und Risiken entstehen durch den Trend zum Quantified Self? Welche Möglichkeiten haben Journalisten und Medien, die zukünftige Entwicklung des Trackings von Individuen und der Nutzung persönlicher Daten mit zu gestalten?
Ich habe neulich mal wieder einen Vortrag von Jeff Jarvis gehört, der an einem ganz einfachem Beispiel gezeigt hat, wie wenig Medien eigentlich über ihre Leser wissen. Es ging um „Waze“, eine App, die als Navigationssystem für Autofahrer funktioniert. Dadurch, dass ich mich und meine Geschwindigkeit von der App tracken lasse, sieht das System sofort, wo beispielsweise ein Stau herrscht. Es ist also ein klassisches Tauschgeschäft: Ich gebe meine persönlichen Fahrdaten her und bekomme dafür nützliche Informationen, die aus der Analyse der aggregierten Daten entstehen.
Dadurch, dass ich der App meinen Wohnort und meinen Arbeitsort verrate, sowie die Routen und Zeiten, auf und zu denen ich meistens unterwegs bin, weiß das Unternehmen (das kürzlich von Google für über eine Milliarde Dollar gekauft wurde) deutlich mehr über mich als meine Lokalzeitung oder mein Radiosender. Das ist schade, denn gerade lokale Medien könnten wahnsinnig davon profitieren und ihre Bindung zum Leser/Hörer/Zuschauer deutlich verbessern, wenn sie ihn nicht mehr nur als Publikumsmasse wahrnehmen würden, sondern als Individuum.
Du hast ein Buch mit dem Titel „Die Vermessung meiner Welt – Bekenntnisse eines Self-Trackers“ geschrieben. Worum geht es darin und an wen richtet sich das Buch?
Das Buch richtet sich primär an Leute, die mehr über Quantified Self erfahren wollen und erst anfangen, sich mit dem Thema zu befassen. Ich bin mir aber sicher, dass auch erfahrene Self-Tracker noch den einen oder anderen Denkanstoß mitnehmen können. Das eBook schildert zum einen meine Erfahrungen, als ich acht Wochen lang versucht habe, so viele verschiedene Dinge wie möglich zu tracken. Gleichzeitig geht es um übergeordnete Fragen: Warum tracken immer mehr Menschen überhaupt? Welche Erwartungen und Ziele sind realistisch? Was haben Selftracker bisher über sich erfahren? Wohin wird sich der Trend entwickeln? Wie steht es mit dem Datenschutz? Was macht Spaß am Self-Tracking und wie können Firmen damit Geld verdienen?
Da das Thema sich so schnell entwickelt, habe ich mich im Gegensatz zu meinen bisherigen Büchern für das Format eBook entschieden. In Zusammenarbeit mit Amazon habe ich das Buch als sogenannte „Kindle Single“ veröffentlicht. Es ist nur etwa ein Drittel oder Viertel so lang wie klassisches Sachbuch – kostet dafür aber auch nur 99 Cent. Im Gegensatz zu einem gedruckten Buch war es aber schon zwei Wochen nach Fertigstellung auf dem Markt. Und ich kann es jederzeit überarbeiten und aktualisieren.
Was würdest Du Self-Tracking Anfängern empfehlen, die es selbst ausprobieren wollen?
Zuerst einmal natürlich: „Die Vermessung meiner Welt“ runterladen und durchlesen! Im Ernst: Von den ganzen Einstiegsdevices, die so kursieren und von denen ich nicht alle, aber viele getestet habe, fand ich den Fitbit One am besten. Unauffällig und klein, einfach im Setup, trackt diverse für den Einsteiger interessanten Dinge. Und ist relativ robust: Ich habe meinen zum Beispiel schon zweimal aus versehen in der Waschmaschine mitgewaschen und er tut es immer noch. Nach dem Schleudergang hatte ich allerdings jedes Mal über 100 Stockwerke auf dem Zähler. Darauf weise ich aber auch jedes mal hin, wenn mich jemand mit erhobenem Zeigefinger vor einer „Gesundheitsdiktatur“ warnt. Sollte also jemals die Schreckensvision wahr werden und Krankenkassen anfangen, die Bewegungsdaten von ihren Mitgliedern einzufordern: Einfach den Tracker in die Waschmaschine werfen.
Christoph Koch arbeitet als Journalist unter anderem für NEON, brand eins, GQ und SZ-Magazin. Im November hat er das eBook „Die Vermessung meiner Welt – Geständnisse eines Self-Trackers“ veröffentlicht. Auf self-tracking-blog.de bloggt er über seine Erfahrungen mit Quantified Self und auf christoph-koch.net über alles andere. Er twittert unter @christophkoch
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